Willkommen bei Aquaristik-Talk.de.
Ergebnis 1 bis 2 von 2
  1. #1

    Talker
     
    Registriert seit
    17.08.2011
    Ort
    Heddesheim/Kurpfalz
    Beiträge
    3.959
    Danke
    676

    "Sie nannten ihn Petra" - ein Nachruf für Roberto Petracini

    Am 21. März 2016 starb Roberto Petracini. Roberto Petracini wurde in seiner Heimat und ganz Lateinamerika als der Großmeister der lateinamerikanischen Aquaristik verehrt. Er gründete die Internetzeitschrift „El Acuarista“ (Der Aquarist), in der er sein Leben voller Erfahrungen in der Aquaristik und der Erforschung der verschiedensten Arten von Fischen aus Argentinien und anderen Ländern mit allen teilte.

    Durch seine unermüdliche Tätigkeit half er unzähligen Aquaristikgruppen und Verbänden in ganz Lateinamerika. Er war zweifellos der Lehrer vieler Generationen von Aquarianern, deshalb gilt er als einer der Väter der argentinischen und lateinamerikanischen Aquaristik.

    Sein Verlust wird nicht zu ersetzen sein. Er war eine Person, die viel säte und ein riesiges Erbe sowohl an Wissen, an Liebe zur Natur als auch im Kampf für eine gerechtere Welt. Diejenigen, die wir das Glück hatten, uns mit ihm zu bilden, wissen das gut, und wir sind dankbar für das Privileg, seine Lehren zu erhalten zu haben.

    Auf Wiedersehen, lieber Petra, immer bis zum Sieg!

    Roberto Petracini Portrait.jpg

    -----------------------------------------------------------------------------------------

    Doch nun lasse ich Roberto selbst zu Worte kommen, wie er sein Leben beschrieb:

    Mein Name ist Roberto Petracini. Ich wurde am 30. September 1941 in Junín, Provinz Buenos Aires, geboren, damals eine Eisenbahnerstadt, umgeben von den Feldern und Weiden der Provinz Buenos Aires.

    Kurz danach zogen meine Eltern an den Rand der Stadt Buenos Aires, genauer gesagt in die Nähe von Saenz Pena an der Grenze mit der Hauptstadt. Ich besuchte die Grundschule in der Nachbarschaft.

    Nach der Grundschulzeit begann ich in einem Filmverleih als Transportarbeiter zu arbeiten.

    Während des Besuches der Industrieschule arbeitete ich in einer Druckerei, sammelte Erfahrungen als Grafiker. Durch die Arbeit als Lektor in derselben Firma machte aus mir ein großer Leser, und bald danach arbeitete ich als Korrektor. So wurde ich gezwungen, immer mehr zu lesen ...

    Nach einigen Jahren, in der ersten Zeit meines Studiums arbeitete ich in verschiedenen Werbeagenturen in den Bereichen Design und Grafik. Aber immer wieder verlor ich meinen Arbeitsplatz wegen meines gewerkschaftlichen Engagements, und schließlich begann ich bei der Eisenbahngesellschaft arbeiten.

    Kurz nach meinem Beginn dort gab es einen Eisenbahnerstreik von mehr als 40 Tage Dauer. Es folgte eine sogenannte "militärische Mobilmachung", der in einem Militäreinsatz gegen die Streikenden gipfelte.

    Da ich mich lautstark für die Rechte der Streikenden eingesetzt hatte, wurde ich zweimal verhaftet und beide Male mit Elektroschocks gefoltert.
    Hierdurch habe ich gelernt, in der Zukunft etwas vorsichtiger mit meinen Worten zu sein. Ein Elektroschock ist keine angenehme Erfahrung.

    Einige Jahre später, nach einem neuen Militärputsch, wurde die Besetzung der Universität entschieden. Zu dieser Zeit war ich Delegierter der Studenten, und wie so viele meiner Mitstreiter jener Zeit litten wir unter den Repressalien der Polizei und des Militärs. Diese Repression wurde als die „Nacht der langen Knüppel“ („La Noche de los Bastones Largos“ – in etwa „Nacht der langen Messer“) bekannt. Es war das dritte Mal, daß ich festgenommen wurde, und man erinnerte mich wieder daran, wie sich Elektroschocks , Prügel und andere Formen der "demokratische Überzeugungsarbeit" anfühlten.

    Ein Militärputsch nach dem anderen, einige Wahlparodien und viele Razzien, zwangen mich, unterzutauchen und teilweise sogar, in der Unterwelt zu leben. Ich konnte keine Arbeit behalten, und so arbeitete ich unabhängig als Fotograf, als Publizist, als Herausgeber von Zeitschriften und sogar als Lehrer in verschiedenen Disziplinen, wenn in Argentinien die Demokratie kurzzeitig zurückkehrte.

    Alle Phasen meines Lebens hatten einen gemeinsamen Nenner: wann immer es mir möglich war, hatte ich ein oder mehrere Aquarien. Fische begleiteten mich hierhin und dorthin, bis ich schließlich nach einer kurzen Phase in der Fleischindustrie begann, mit Aquarien zu arbeiten. Im Jahre 1975 wurde ich als "Leiter" der Firma AcuaArte angestellt, einer Firma, die als Aquarienhersteller und -Großhändler noch immer existiert.

    Ich hatte meinen Wohnort bereits mehrfach geändert, als der Militätputsch von 1976 stattfand. Kurze Zeit darauf beendete ich meine Arbeit bei AcuaArte, dann gründete ich ein Unternehmen für den Vertrieb von Aquaristikartikeln. Diese Firma erlaubte es mir, der neuen repressiven Herrschaft zu entkommen, die als die blutigste Diktatur in die Geschichte Argentiniens eingegangen ist.

    Es war in diesen Zeiten des Lebens und der Angst, als ich die Provinz Misiones kennenlernte, seine Bäche, Flüsse und vor allem seine Menschen, die mich sehr unterstützten. Die Nähe der Grenzen von Brasilien und Paraguay boten Fluchtwege an für all die Flüchtigen vor militärischen Unterdrückung, und sie erlaubte mir, vielen Verfolgten zu helfen, aus dem Land zu fliehen.

    Einige Jahre später kehrte ich nach Misiones zurück, zu seinen Flüssen und Bächen, aber diesmal auf Exkursionen als Aquarianer, um mehr über seine Fische, Pflanzen und Wasserorganismen zu lernen, und um mich mit meinen Freunden an die Vergangenheit zu erinnern und die Gegenwart teilen.

    Roberto Oetracini mit Wels.jpg

    Heute bin ich über 70 Jahre alt und habe ich viele Erfahrungen gemacht, gute und schlechte, und habe viele alte Freunde, die mich auf meinem Wege begleitet haben, und von denen einige Opfer der Repressionen wurden. Von anderen verlor ich die Spur, viele andere mehr teilten meine Momente der Freude und des Leides. Viele alte und neue Freunde geben mir die Genugtuung zu wissen, dass ich auf sie zählen könne, wann auch immer ich sie braucht, so wie sie immer auf mich zählen können.
    Ich bin mir sicher, wenn ich wiedergeboren würde, würde ich den gleichen Weg durch alle Tiefen gehen, und ich bereue nichts außer daß ich nicht in der Lage war, etwas mehr als zu tun, als ich tat.

    Quellen:
    http://www.rpetracini.com.ar/
    http://www.elacuarista.com/

  2. Danke von 4 Usern an Ulfgar für diesen hilfreichen Beitrag:


  3. #2

    Talker
     
    Registriert seit
    17.08.2011
    Ort
    Heddesheim/Kurpfalz
    Beiträge
    3.959
    Danke
    676
    Um den aquaristischen Aspekt in Robertos Leben weiter zu demonstrieren, habe ich mich entschlossen, zwei Episoden aus seiner Feder über seinen Beginn als Aquarianer zu übersetzen und hier zu veröffentlichen. Die erste Episode handelt von seinem ersten Aquarium:


    Meine ersten Jahre

    Im Alter von zehn Jahren spielte ich Basketball im Club Ameghino de Saenz Peña, wohlwissend, dass ich wegen meiner Größe keine große Zukunft in dieser Sportart haben würde. Im selben Verein lernte ich Schach spielen and nahm an Wettbewerben teil, wenn auch mit geringem Erfolg. Beim Volleyball, genauso wie beim Basketball, war ich zwar flink aber klein, so daß ich nicht sehr viel zu bieten hatte. Aber ich hatte eine gute Zeit. Der Modellbau und das Briefmarkensammeln begleiteten mich noch einige Jahre, aber aus Zeitmangel mußte ich diese Hobbies später dann aufgeben.

    Aquarium Roberto.gif

    Mit zwölf Jahren bekam ich ein Geschenk von einem Schulfreund, welches einem Aquarium sehr ähnlich war. Es war aus Zement mit vier Glaswänden gebaut und verlor das Wasser an allen Seiten. Mit Fensterkitt, Bleidichtungen und viel Geduld erreichte ich, die Lecks abzudichten. Und wie es nicht anders sein konnte, zwei Hahnenschwanz-Karauschen (Crassius „cola pollera“) landeten im Aquarium. Ich behielt die Fische mehrere Jahre, bis 1956, als sie infolge einer Polio-Epidemie bzw. einer der unzähligen Giftvernebelungen durch Flugzeuge ein Ende fanden. Diese Gifte halfen zwar nicht gegen die Epidemie, beendeten aber das Leben unzähliger Vögel, Insekten, Pflanzen und Fische.


    Die zweite Episode handelt davon, wie Roberto zu seinen ersten - aber lest selbst:


    Und dann kamen die Killis…

    Mein Haus befand sich lediglich fünfzig Meter von der Eisenbahnlinie und vierhundert Meter von der Stadtgrenze von Buenos Aires entfernt. Zu jener Zeit hatten sogar die asphaltierten Straßen Regenwasserrinnen, die das Wasser in die tieferen Gebiete ableiteten. Im Juni 1955, damals war ich dreizehn Jahre alt, kam ich ohne jede Kenntnis in den Beisitz meiner ersten Killis. In der Regenrinne vor meinem Haus konnte ich meinen ersten „Bläuling“ (azulejo) fangen, einen himmelblauen Fisch mit kleinen weißen Flecken, den ich bereits öfters in den Gräben seitlich der Eisenbahnlinien gesehen hatte. So, ohne es zu ahnen, trat ich in die Welt der Killis mit meinen ersten Austrolebias bellottii ein. In jenen Tagen haben die Flugzeuge der Luftwaffe die „Plaza de Mayo“ in Buenos Aires bombardiert, ein Versuch, die Regierung zu stürzen.

    Austrolebias bollittii.jpg

    Das, was heute „Tubifex“ heißt war reichlich vorhanden - sogar in den kleinen Regenkanälen im Hause. Dort, wo meine Mutter das Abwaschwasser weggeschüttete und der Wasserstand in der Abflußrinne wieder sank, konnte man die roten Bälle aus Würmern sehen. Ich benutzte sie als Ergänzung zu den Haferlocken, mit denen ich meine Karauschen und dann meine Bläulinge fütterte. Im Laufe der Zeit und dank des Regens, der weitere Fischlein in die Regenrinnen brachte, bekam ich mehr Fische, so daß ich am Ende sechs männliche und acht weibliche Bläulinge hatte, die die kleinen Hahnenschwanz-Karauschen belästigten, so daß diese nach einigen Wochen starben, ohne daß ich den Grund dafür herausbekam.

    Quelle: www.rpetracini.com.ar
    Geändert von Ulfgar (20.05.2016 um 14:42 Uhr)

  4. Danke von 3 Usern an Ulfgar für diesen hilfreichen Beitrag: